Der Samstag ist mal wieder viel zu kurz und so ist es früher spät als wir uns wünschen. Also, noch ausgehen? Wenn ja, wohin? Die Auswahl ist groß an diesem Tag, uns zieht’s zur Kitty. Die Kleiderfrage ist schnell gelöst, wir haben beide keine große Lust, uns aufzubrezeln. Trotz einer gewissen Grundhässlichkeit sind wir beide schön genug, so dass sie uns wohl auch so rein lassen werden.
Wir fahren los und finden sogar das beste Parkhaus. Noch hier sehen wir die ersten Gestalten der Nacht. Das Paar dort ist ja gar nicht auffällig. Ob er mit DER langweiligen Armeehose für Arme eingelassen wird?
Sie mustern unser Auto. Meinen sie, daran erkennen zu können, ob wir auch zur Party wollen? Aber laut Kennzeichen sind wir nur blöde Ossis und somit eher als Interessenten für den Hauptbahnhof einzuordnen. Ihre Blicke verharren nicht lange bei uns, wir parken ein.
Der Weg zum Wartesaal ist nicht weit und wir stürzen uns ins Vergnügen. Was fragt mich denn nun die Türsteherin so dumm, was ich unter dem Mantel trage? Kleidung – was wohl sonst? Irgendwie bin ich genervt und weiß nicht, warum. Der TV am zweiten Einlass sieht meinen Blick – oder auch nicht, spart sich jedenfalls jeglichen Kommentar.
Die Party ist voll, die Bässe hämmern, ich sehe Lack und Latex überall – erst mal etwas trinken. Uns erfreut ein Herr in VoPo-Jacke. Dazu trägt er farbig passende halterlose Strümpfe – lustig baumelt ein Schwänzchen dazwischen – und ein Schild auf dem Rücken. Ich bemühe mich, es zu lesen, gebe es allerdings auf, da er – etwas unambitioniert zwar – aber sichtlich selbstzufrieden in seiner Ecke steht und an seinem Bier nuckelt.
Ach, neben uns an der Bar sitzt ja auch das Paar aus dem Parkhaus. Sind sie doch reingekommen! Kein Erkennen auf ihren Gesichtern. War wohl mehr das Auto, das soeben ihr Interesse weckte. Aber sie sind auch nicht sonderlich interessant und so wende ich mich dem Süßen zu. Er hat schon wieder d i e s e Hose an und schon wieder zeichnet sich alles darunter ab. Verwunderlich, dass ihn nicht sämtliche Frauen hier anspringen … Aber gut, so habe ich die Gelegenheit dazu.
Mir ist nach einem Plätzchen zum Ausbreiten. Wir suchen umher und finden reichlich freie Fläche auf einer Sitzgruppe. Ich bin dabei, den Süßen auszupacken als mich irgendwer antippt. Was weiß ich, was der will. Und wie kommt der auf die Idee, dass ich jetzt Lust und Zeit für ein Gespräch habe? Soll sich der Süße drum kümmern. Wir genießen. Ein typischer Grinsekater stellt sich auch bald ein, stört aber nicht groß, sondern schaut nur aus der Ferne zu. Soll er! Und macht er auch, bis einige Damen ihm den Weg zustellen.
Irgendwann meint ein dickes schwuchteliges Lederjüngelchen, sich noch in die Ecke quetschen zu müssen. Er führt sich gut ein, indem er erstmal die Zigaretten unter einen Rollwagen kickt – glücklicherweise hat er sie nicht direkt platt getreten bei seinem zarten Körperchen. Nun sitzt er da über uns und lässt seine Springerstiefel über meinem Kopf baumeln. Bevor ich etwas sagen kann, wendet er sich an den Süßen und bittet ihn, dass ich, die ich gerade nach den Zigaretten fahnde – was tut man nicht alles für das Wohlergehen des Liebsten – meinen Kopf da wegnehme. Macht keinen Spaß mehr in der Ecke. Wir ziehen weiter. Die natürlich gefundenen Zigaretten nehmen wir mit.
Ein Blick in den Darkroom: ineinander verschlungene Körper. Zu hektisch für uns. Kleines Zwischenspiel vor den Räumlichkeiten. Ein dickes Mädschen kommt auf uns zu. Sie kennt den Liebsten. A l l e Mädschen kennen ihn! A l l e wollen was von ihm oder hatten was mit ihm! Sie gehört zu ersteren und ist schnell wieder weg. Wir landen an der nächsten Bar. Wie schön, hier gibt’s einen Sitzplatz, ein Obstkörbchen und Getränke.
Zeit, die Partypeople genauer anzuschauen. Da läuft ein nettes Mädel in rot herum, 1,50 m groß, knabenhaft schlank mit einem – wie erwähnt – roten Zweiteiler, bauchfrei, und dazu seeeehr hochhackige Stiefel. Sie dreht sich um und … ups, ist ja ein Jüngelchen! Erledigt. Die Blicke schweifen zur nächsten – na ja, Gestalt. Größer als der Süße, also mindestens 2,50 m, in weiß gewandet, eine Art Götterboten-Helm auf dem Kopf – fehlen nur noch die Flügelchen – und irgendwelche Gerüste an den Füßen. Eine Dame im pinkfarbenen Tutu – gefällt. Die Dame mit dem arroganten Blick, die mal ihr Sexleben im Internet (mache ich eigentlich gerade etwas anderes?) ausbreitete, das Mädel mit dem Kapotthütchen und der Gay mit ähnlichem Kapotthütchen und Goldhöschen a la Kylie sind sowieso wieder da. Genau so einige Polizisten aus den USA und dem europäischen Ausland. Läuft das bei denen unter Fortbildung und Erfahrungsaustausch? Diesmal sind übrigens auch einige Himmelsgestalten, Engel, Weihnachtsmänner und was weiß ich anwesend. Der Weihnachtstrubel nervt also nicht nur in den Kaufhäusern.
Wir werden abgelenkt durch ein dickes Mädschen. Scheint eine andere als die von eben zu sein. „Darf ich mal durchgreifen?“ Klar, sie will an die Futterkrippe, aber mit diesem netten Wortspiel lassen wir sie gerne!
Schauen wir noch mal? Tun wir! Wir landen wieder im Darkroom für Paare. Genau so voll wie eben. Das Spielen lassen wir nicht sein, geben es aber bald auf. Hier gibt’s kein miteinander Ficken, sondern ein gegeneinander Ficken, so nach dem Motto „Ich dräng mich mal dazwischen, weil wir jetzt den Platz brauchen.“ Der Süße macht mit mir Ratespielchen, ob die Person, die ihm da an den Schwanz gefasst hat, denn Weiblein oder Männlein ist. Ich tippe auf Männlein und gewinne. Die Beule im String ist einfach zu verdächtig.
Wir verlassen die gastliche Stätte und wenden uns dem Gynstuhl an der Tanzfläche zu. Herr Doktor, ich fühle mich so unausgefüllt … Die Untersuchung verläuft positiv, wenn auch der Weihnachtsbaum ein wenig piekt und seinen Glitter gleichermaßen auf uns verteilt. Noch eine kleine Runde durch den Club, ein Getränk, eine weitere kleine Geilheit ereilt uns, und wir sind erneut auf der Suche nach Sitz- oder Liegefläche. Ist dort an der Wand nicht eine Bank? Die Bank stellt sich aus der Nähe gesehen als Schrank mit Marmorablage dar. Schnell nehme ich Platz, der Süße kniet vor mir. Etwas entfernt von uns befindet sich tatsächlich ein Rittmeister: ein Mann mit Schnürkorsett und altmodischen Reithosen – ich höre gerade, sie heißen Breeches – dazu Stiefel und ein neckisches Käppchen. Was es nicht alles gibt! Er unterhält sich mit der weißen Gestalt, die ihn kaum überragt. Ansonsten ist es in dieser Ecke eher leer, einige gelangweilte Paare stehen herum und auch unser Grinsekater, Marke Schatten, stellt sich wieder ein, jetzt, wo’s was zu Sehen gibt.
Eins der gelangweilten Paare kommt in unsere Richtung, sie schwingt sich neben mich auf den Schrank. Dabei schränkt sie mich in meiner Bewegungsfreiheit und in meiner persönlichen Distanz – von der sozialen rede ich ja gar nicht – ein. Am liebsten würde ich sie fragen, ob sie denn keine eigene Phantasie haben oder im ganzen Club keinen anderen Platz finden. Ihr Partner muss nicht auf die Knie gehen – kleines Männlein eben – sondern sich nur leicht bücken, um das gleiche zu tun wie der meine. Was soll das nun geben? Kleines Hengststeigen nach dem Motto „wer kann besser lecken“ oder „schau mal, wie viel Volumen meine hat“? Na ja, in beiden Fällen hätten wir dann ja gewonnen. Der Süße hat zwar auch nur fünf Finger pro Hand, aber die Hände sind auf jeden Fall größer! Später erzählt mir der Süße, dass ihm der Nachbarproll mehrfach auffordernd zugenickt, jovial auf seine Schulter geschlagen und auf die Nachbarfotze gezeigt hat. Da wollte wohl wer über Kreuz lecken! Mir fällt dazu nur die Frage nach den Hepathitis-Impfungen beim Süßen ein, übrigens positiv bescheinigt. Wir überlassen die beiden unserem Schatten, der sich freut, endlich zum Zuge zu kommen. Ja, lasst ihn nur lecken, Welt-AIDS-Tag war ja gestern …
Wir gehen noch einmal herum. Erfreut nehme ich zur Kenntnis, dass weder Frau Klappstuhl, noch die drei Musketiere – von denen zwei Transvestiten (allerdings weibliche) sind – mit Anwesenheit glänzen. Auch die Frau, die mich immer so an die 80er Jahre erinnert, ist nicht da. So müssen weder ich noch der Süße böse gucken.
Uns ist jetzt auch mehr nach verliebten Blicken und zwar zu Hause. Somit geht’s ab zur Garderobe, anschließend zum Auto und nach Hause.
Auf dem Weg macht sich leichte Ernüchterung breit. Ist das noch die Kitty, die ich liebe? Wo sind z. B. die vielen bekannten Gesichter hin? Der Marilyn-Manson-Verschnitt mit dem Blech im Gesicht, der Leichen-Kontaktlinse und den wilden Haaren? Wo sind all die Dominas, mit deren Sklaven auch ich hin und wieder spielen durfte? Wo sind die Leute, die die Kitty zu dem machte, was sie war und in deren Anwesenheit ich mich wohl fühlte, in der ich völlige Freiheit genoss, in der jeder so sein durfte wie er war oder sein wollte – ganz egal, was er war?
Was ist mit der Kitty passiert? Der Hedonisten-Party, auf der sich Gays mit Crossdressern mit Fetischisten, mit SMlern, mit Swingern, mit Grufties, mit Normalos, mit wild gewordenen Toilettenfrauen und weiteren facettenreichen Leuten aus etlichen Szenen getroffen haben und auf der jeder seinem Plaisier ungestört von anderen und ohne Vorurteile der anderen nachgehen konnte. Scheinbar hat man anderen Parties nachgeeifert, die Swinger zu sehr hofiert, sie übernehmen lassen, so dass der übliche Swingerszenen-Mief eingekehrt ist. Man macht nicht mehr miteinander, sondern gegeneinander.
„Meine“ Kitty habe ich so in Erinnerung:
Trancemusik, heiß gestylte Leute, gay neben hetero neben bi neben tv neben ts neben …, dom und sub bunt gemischt, wenig Vorurteile, kaum Berührungsängste, hier und da kleinere Sessions, in anderen Ecken Sex, wir mittendrin, rechts neben uns ein Paar, das schaut, rechts neben uns Gays, die es in einer großen Gruppe treiben, mich dabei anlächeln …
Gab es die Party nie so wie ich meine, sie erlebt zu haben? Werde ich zu alt, hat es sich ausgetanzt?
Ein Getränk noch in der Raststätte. Ab da fahren wir noch 20 Minuten nach Hause. Die Party – nur noch eine verblassende Erinnerung. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu müde.
Und nun noch die Auflösung. Auf dem Schild stand „Fuck me“ – interessant, ein VoPo, der nicht nur russisch kann. Der tippende Herr war der Meinung, dass er mich auf der letzten Kitty, auf der ich nicht war, getroffen habe. Den Weinnachtsbaum-Glitter haben wir jetzt noch am Körper und der Süße legt Wert auf die Feststellung, dass er zwar sämtliche Leute kennt, ich aber die halbe Kitty gefickt hätte (übrigens kein Grund, die Namen der Betroffenen zu kennen oder schon mal mit ihnen gesprochen zu haben).
Dennoch – ausgetanzt?
05.12.06