Keine Ahnung, warum wir uns das immer wieder antun. Ist es Masochismus? Oder müssen wir das alle paar Jahre mal haben, um uns wieder und wieder zu beweisen, dass solche Veranstaltungen eigentlich gar nichts für uns sind?
In diesem Fall haben wir uns jedenfalls ganz einfach überreden lassen.
In dieser Community erhalten wir eine Mail von dieser Frau, mit der es schon mal einen Kontakt gab. Der war damals im Sande verlaufen, sogar von uns aus, vermutlich, weil wir so interessiert gar nicht waren. Mit der Mail brachte sie sich wieder in Erinnerung und teilte mit, dass am nächsten Tag ein Treff einer Gruppe dieser Community in einer Lounge in einer der verbotenen Städte stattfände. Ob das nichts für uns sei?
Nachdem ich im Text zur Veranstaltung die Wörter „rauchen“ und „Bar in den Katakomben“ im gleichen Satz lese, denke ich eher, dass das alles andere ist als etwas für uns. Der Süße findet auf der Gästeliste die üblichen Laberer und Lästerer und kommt zum gleichen Ergebnis. Das wird also eine Absage. Aber trotzdem danke für den Hinweis.
Damit gibt die Dame sich jedoch nicht zufrieden und überzeugt uns schließlich. Trotz des Wochenendes müssen wir am Morgen nach dem Treffen früh raus. Ein Clubbesuch kommt für den betreffenden Tag also nicht in Frage, aber diese Veranstaltung wäre ok. Außerdem muss man manchmal einfach über seinen Schatten springen. Über die Einladung haben wir uns ehrlich gefreut und vielleicht wird es ja doch ganz nett.
Die Kleiderfrage ist schnell geklärt. Wir wollen uns beide nicht übertrieben aufbrezeln. Obwohl – der Süße vielleicht doch? Er kommt allen Ernstes mit dem Vorschlag, zur schwarzen Lederhose sein dunkelrotes Piratenhemd mit Rüschenkragen zu kombinieren. Ein wirklich sehr geiles Hemd, aber für diese Veranstaltung vielleicht doch ein paar zu viele Perlen vor die Säue. Außerdem korrespondiert es überhaupt nicht mit dem Wunsch des Süßen, nicht übermäßig aufzufallen. Er wählt also ein schwarzes Hemd. Ich selbst nehme einfach das 20er-Jahre-Fransenkleid, das ich neulich schon im Schlösschen trug.
Wir finden die Lounge und wider Erwarten sogar einen Parkplatz.
Erster Eindruck: Ach du je, ist das verqualmt hier! Da die Mindestteilnehmerzahl erreicht wurde, sind wir heute zwar eine geschlossene Gesellschaft und dürfen die gesamte Lokalität – und nicht nur die Bar in den Katakomben – exklusiv nutzen; den Rauch auf einen Bereich zu reduzieren, stand aber wohl nicht auf dem Programm.
Bevor ich einen zweiten Eindruck erhalten kann, kommt der Veranstalter zu uns, winkt eine (seine?) Frau heran und begrüßt uns. Man scheint sich rechtschaffen über unser Kommen zu freuen, lobt unser Profil als „state of art“, betitelt unsere Homepage ebenfalls mit einigen hübschen Vokabeln („hai end“ war leider nicht dabei) und bringt auch scheinbar mehr Bildung, Stil und Niveau mit als die meisten Leute, die wir bisher über diese Community getroffen haben, aber dennoch kann ich mich meines Gefühls nicht erwehren, dass ich die beiden nicht sympathisch finde. Einen konkreten Begriff hierfür zu finden, fällt mir schwer. Nicht sympathisch ist eigentlich zu stark und trifft es nicht richtig. Beide haben nichts an sich, was mir spontan negativ auffällt, aber unvermittelte Sympathie oder Nähe, eben eine gemeinsame Wellenlänge will nicht aufkommen. Intuitiv fühle ich mich unwohl in ihrer Nähe.
Warum weiß ich gar nicht. Beide scheinen sich tatsächlich Mühe zu geben, so aufzutreten, dass sie uns beeindrucken. Anscheinend sind sie sogar ein bissl aufgeregt, uns zu begegnen. Vielleicht liegt’s daran. Ich mag das nicht. Ich will nicht, dass Leute sich für mich irgendwie verstellen. So schiele ich sogar nach einer möglichen Schleimspur am Boden und bin froh, dass wir uns nun zur Garderobe komplimentieren können. Ich will auch endlich meinen schweren Mantel los werden.
Ganz schön voll ist es hier! Wir sind froh, noch einen freien Hocker zu finden und haben jetzt auch Muße, herumzuschauen.
Eindeutig haben die meisten Leute sich Mühe gegeben. Anzug bei den Herren und ebenso feine Garderobe bei den Damen herrschen wohl vor. Wir fühlen uns weder under- noch overdressed.
Allerdings – wie alt sind die uns Umgebenden eigentlich? Der Süße hat das Gefühl, von lauter alten Leuten umringt zu sein, ich selbst wundere mich wie langweilig alle aussehen. Wenn wir’s nicht besser wüssten, überlegten wir, ob wir nicht auf der Feier eines … mmmh … Schrebergarten trifft’s nicht ganz, die Leute sind schon schicker und sehen etwas weniger hausbacken aus, aber doch ziemlich … Tennis-Club, das isses! … also, die Leute sehen ein wenig aus wie die Besucher einer Fete eines Tennis-Clubs.
Entsprechend steht zunächst ein Paar neben uns, bei dem sich die Frau mit einem Hausfrauenhelm am wohlsten zu fühlen scheint. Später erscheint ein Herr, den wir in die Schublade „hochgearbeiteter Lagerist“ stecken. Dennoch sind viele der Anwesenden netter anzuschauen als die Gäste anderer Stammtische und Parties, die wir teilweise live und teilweise nur von Fotos kennen. Dennoch, wenn ich an die Fotos der hier Anwesenden denke, frage ich mich, wo all diese Hochglanz-Körper aus den Profilen zu finden sind.
Apropos Fotos: Eine weißblonde Frau, die sich selbst geschickterweise nicht vorstellt, meint, sich am besten mit einer Beleidigung einführen zu müssen: „Mir wurde gesagt, ihr seid Requiem, nicht wahr? Ich muss euch sagen, ihr habt ein Foto im Profil, das müsst ihr löschen. Die Frau sieht real viel besser aus.“
Ohne Nachdenken könnte man das tatsächlich für ein Kompliment halten. Aber so schnell bin ich gerade noch, dass ich da nicht drauf hereinfalle. Erstmal: Was ist es überhaupt für eine Art, mit mir, bzw. über mich, in der dritten Form zu reden? Und außerdem: Jedem, wirklich jedem, der mal ein Blick in unser Profil geworfen hat, sollte klar sein, dass uns Äußerlichkeiten nur am Rande interessieren. Klar, man muss nicht die hässlichsten Fotos von sich auswählen und kann sich auch ein paar Gedanken dazu machen, aber diese Höher-schneller-weiter-Fotografenfotos finde ich persönlich eher langweilig und falle lieber live positiv auf als dass ich optisch gegen meine Bilder zurückfalle – wovon übrigens die meisten Anwesenden heute leider positiv betroffen sind.
Der Punkt ist aber, dass ich fast alle Fotos in unserem Profil – auch die von mir – selbst fotografiert habe. Und meine Ehre als Urheberin dieser Fotos ist mir viel wichtiger als die Tatsache, ob ich schlechter oder besser als auf meinen Fotos aussehe.
Wir, d. h. der Süße, da ich immer noch nach Luft schnappe und außerdem ja gar nicht angesprochen wurde, teilt der Weißblonden mit, dass unser Profil schon soweit ok ist. Klar, wir hätten ihr auch mitteilen können, dass sie einer der oben genannten Fälle ist (so von wegen Fotos besser als live), aber heute abend wollen wir ja verbindlich sein und nicht ganz so böse, also lassen wir’s.
Sie merkt jedoch auch so, dass sie nicht ganz so gut ankommt und stöckelt wieder zu ihrem Begleiter, Typ „langhaariger Bombenleger mit zu langen Fingernägeln“.
Mir stößt noch etwas auf. Wir hatten uns doch anonym angemeldet. Somit wissen nur die Gastgeber, dass wir da sind. Haben die eigentlich nichts Besseres zu tun als unsere Anwesenheit herumzutratschen?
Gut, die Veranstaltung scheint genau so langweilig zu sein wie ähnliche Parties, die wir bereits besuchten. Was also tun? So viel Zeit, jetzt noch woanders hinzufahren haben wir nicht mehr. Bei unserer Kleidung käme auch sowieso nur ein Restaurant (gegessen haben wir schon) oder eine Bar oder so was in Frage. Nun, etwas trinken können wir auch hier. Machen wir also an Ort und Stelle das Beste daraus, kümmern uns um uns selbst und beobachten nebenher Leute. Vielleicht wird ja doch noch ein haiterer Abend oder – noch besser – ein ansprechender Text daraus.
Die nächste Dame, die sich für diesen Bericht qualifiziert, kommt an die Theke getorkelt. Sie bestellt „ein Caipi“, und legt noch „mit Allohol“, nach. Hätte sie gar nicht gemusst. Jeder, der sie länger als einen Augenblick anschaut, erkennt, dass sie heute zur Druckbetankung gekommen ist.
„Isssas euer ersses Treffen“, fragt sie. Ja, ist es; jedenfalls in diesem Rahmen. „Wo isss … isss … isss denn euer Namsschild?“ Wir haben keins. „Wrummnich?“ Wir wollten keins. Das hat sie nicht erwartet. Außerdem kommt gerade das gewünschte Getränkt und lenkt die Dame glücklicherweise ab. Sie unterhält sich dann mit dem Gesicht unter dem Hausfrauenhelm und wir sind ganz froh, weiter schauen zu können.
Der Veranstalter kommt und fragt nach, ob bei uns alles ok ist. Ist es. Und die Nachfrage ist ja wirklich ganz lieb. Aber warum zum Teufel muss er uns jetzt noch dringend durch die Blume zu verstehen geben, dass er Fotograf und Filmemacher ist? Meint er vielleicht auch, dass unsere Fotos nix taugen? Oder will er unsere Homepage verfilmen?
Hallo! Was ist das denn? Ist der Zirkus in der Stadt? Ein Mann, der sich interessanterweise mit einer Zirkusjacke geschmückt hat, fragt den Süßen, welche Stärke seine Brille hat. Mit der Antwort ist er unzufrieden. Scheinbar wollte er sich die Brille leihen, um die Speisekarte lesen zu können. Ich helfe und lese vor. Er findet sein Gericht und bestellt. Netter Kontakt.
Nach dem Gespräch sehen wir, dass in einer Sitzecke Plätze frei geworden sind. Wir ziehen um und finden nun beide einen Sitzplatz. Von hier aus können wir auch viel besser gucken.
Ein Stück weiter sitzt eine Frau mit irgendwie zebraartig gestreiften Haaren – ich bin beruhigt, dass das offensichtlich gefärbt ist und sie nicht von Natur daran leidet – und unterhält sich mit ihrer Nachbarin. Neben ihr steht ein nervöses Männchen – fast bin ich überlegt, ihn mit Kurt Schmidtchen zu verwechseln – und treibt die Zebra-Frau an, endlich fertig zu werden, worum sie sich nicht kümmert. Hübsches Spielchen.
In einer anderen Ecke steht eine Frau, bei der ich versucht bin, ihrem Begleiter mal zu sagen, dass er dieses Kind doch endlich nach Hause bringen soll. Das Mädel sieht aus wie gerade mal elf. Es fühlt sich auch sichtlich unwohl und schließlich gehen die beiden auch.
So kann ich den Mann mit der arschfreien Hose, der gerade schon so um uns herum scharwenzelte, besser beobachten. Während der Süße Getränke holt, fragt er – also Mr. Arschfrei, nicht der Süße; der holt ja Getränke – mich, ob ich eine Dame sei, die verwöhnt werden will. Ne, bin ich nicht. Ich bin noch nicht mal ’ne Dame. Dennoch setzt er sich neben mich und verschwindet erst als der Süße mit der Cola zurück ist.
In der Zwischenzeit setzt sich die Veranstalterin aber ein Stück weiter auf die Bank und winkt mir zu, zu ihr zu rücken. Wieso denn? Ich bin vollkommen zufrieden in meiner Ecke. Und war das nicht so, dass derjenige, der etwas will, zum anderen kommt? Außerdem ist die Heizung hier und genug Platz für die ewig langen Beine des Süßen.
Einen erneuten Vorstoß macht sie nach Rückkehr des Süßen. Sie fragt uns, ob wir Paar „die Frau in weißblond mit dem langhaarigen Bombenleger“ schon kennen. Das sei ein ausgesprochen interessantes Paar. Ich teile mit, dass die Dame sich mit einer Beleidigung einführte und wir darum auf einen weiteren Kontakt verzichten wollen. Wie kommt die überhaupt auf die Idee, dass uns interessante Leute interessieren könnten? Wenn, dann würden wir ja mal den Anfang machen und selbst interessant werden. Tun wir aber nicht, denn ganz normale Leute reichen uns vollkommen.
Ich erhalte noch ein paar Male Lob für mein Kleid – es ist auch schön! – ein Mann teilt uns mit, dass wir die einzigen Anwesenden seien, die sich halbwegs entspannt und erotisch benähmen, der Gastgeber weist noch mal auf seinen Job hin, während die Gastgeberin sich von allen möglichen – auch den schmierigsten – Typen an den Hintern fassen lässt und das sichtlich genießt, ein paar Mädels führen knutschend die obligatorische Bi-Trinen-Nummer vor – natürlich wild um sich blickend, ob auch jeder bemerkt hat, wie verrucht sie doch sind – und wir entscheiden uns so langsam für den Aufbruch.
Einige Überlegungen folgen.
Ich bin unzufrieden mit mir. Ich bin wieder viel zu zurückhaltend gewesen. Warum habe ich der Weißblonden nicht ganz geradeheraus mitgeteilt, was ich von ihrem Spruch halte? Die weiß jetzt vermutlich überhaupt nicht, was sie falsch gemacht haben könnte und findet sich vermutlich weiterhin ganz charmant. Sei’s drum.
Etwas anderes lässt mich viel mehr grübeln: Warum fand ich die Leute da alle so unangenehm? Wir haben beide den Eindruck, dass hier mehrere Leute, die Niveau, Stil, Bildung und ein angenehmes Äußeres mitbringen, ehrliches Interesse an uns hatten. Eigentlich sollte ich mich doch darüber freuen und mich geehrt fühlen, dass ich bei solchen Leuten gut ankomme und sie mich in ihren Kreis aufnehmen wollen. Allerdings fühle ich mich genervt und verhalte mich abwehrend, so dass Nähe auch gar nicht erst aufkommen kann
In der Nacht kommt mir – nach ausführlicher Diskussion mit dem Süßen, der sich auch nicht wohl fühlte – die Idee zu einem Erklärungsversuch.
Die Leute waren nicht authentisch. Uns kam’s eher wie auf einer Vernissage vor als auf einem haiter-erotischen Abend. Die Leute waren alle so damit beschäftigt, die honorige Gesellschaft, die Bohemes, die Elite dieser Community darzustellen, dass sie nicht mehr dazu kamen, ganz einfach sie selbst zu sein. Vermutlich würden sie – und jetzt aufgepasst, weil ich eine ganz elegante Brücke zurück zu Kurt Schmidtchen schlage – auch Zumsel kaufen und hören liebend gerne Opern von Sebald Brøske in der Interpretation von Pjotr Stianek und Miroslav Lemm und lesen Lothar Frohwein. Wenn ich genauer überlege, ist das auch der Grund, warum ich zum Veranstalterpaar und der weißblonden Dame samt Bombenleger-Freund so unnahbar war und auch virtuell schon immer ein schlechtes Gefühl hatte. Und diese Leute sahen uns als ihresgleichen an, bzw. wie den neuen schicken Künstler, dessen kess-frivole Ideen einen aus der Langeweile reißen und dem man seine 15 Minuten Ruhm gewährt und sich währenddessen in seinem Glanz sonnt.
Ich will aber gar nicht so sein wie die. Ich will nicht auf Künstlertyp machen, ich will mich nicht anders geben als ich bin und ich will mich von so Typen erst gar nicht in Beschlag nehmen lassen. Und ich will auch nie so pseudo-erotisch und damit absolut unerotisch werden wie die.
Wenn unsere Homepage und unser Auftreten in den Communities solche Leute anlockt, ist es Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sollen wir die Homepage aufgeben, das Engagement in den Communities zurückschrauben? Sollen wir die Verlinkung zur Homepage löschen, unser Profil gewollt einfacher formulieren, um die „normalen“ Leute nicht unnötig abzuschrecken? Aber dann verstellten wir uns ja auch. Irgendwo muss es doch nette, nicht so kapriziöse Leute geben, mit denen wir uns amüsieren und Erotik leben können. Nur wo?
09.01.09