Welcome to the Jungle

disDa der Liebste nicht nur Koffer in Berlin und Dresden, sondern auch in manch anderer Groß- und Kleinstadt im Bundesgebiet hat und das gemeinsame Nest im Bau ist, wurde beschlossen, das Zeug nach und nach einzusammeln. Die Fahrt führt uns ins tiefe Münsterland. Ob dieser lieblich tiefschwarzen Gegend werden Erinnerungen an Fahrradtouren zu Kindertagen, Fahrschulzeiten, Besäufnisse auf Bauernschaftsfesten u. ä. wach. Ja, ich weiß, warum ich diesen Landstrich schon früh verließ, um Rheinländerin zu werden …

Angekommen am Ende der Welt, macht sich Begeisterung breit: ein Club angelegt ganz im Stil der 90er Jahre – was für eine innovative Idee, sieht man doch sonst häufig den 70er-Jahre-Schick. In dieser 90er-Jahre-Kombi war ich doch auch in meiner Jugendzeit eingerichtet! Qualitativ werden die Möbel eines jeden Azubis / Studenten auch heute noch in der gleichen Liga spielen … Vor dem Umkleidebereich werden uns die vergessenen Gegenstände gereicht. Der Abend ist somit gerettet, ist das eigentliche Ziel so doch schon erreicht.
Das Umkleiden selbst hält ein weiteres Dé­jà-vu für mich bereit. Zwar habe ich nicht gedient, aber ein Exfreund von mir hatte tatsächlich auch so einen Spind bei der Bundeswehr.

Hinein ins spärliche Getümmel! An der Bar gibt es den ersten Einbruch des Abends, man kann mir weder einen (Kräuter-)Tee noch ein stilles Wasser kredenzen. Möchte die Dame etwas anderes? – Nein, möchte sie nicht. Nein, sie möchte auch kein Sprudelwasser stundenlang stehen lassen, weil man die Kohlensäure doch dann nicht mehr merken werde.
Der Liebste trinkt irgendwas und ich mustere derweil meine Gegenüber: Ja, im Münsterland ticken die Modeuhren noch anders! Ich bin begeistert von schwarzen Dessous zu weißen Gartenschuhen, Schnauzbärten mit Lackjöppchen, Spitzenhemdchen zu Heimdauerwellen, Badelatschen kombiniert mit Strings. Ich merke, dass der Liebste schon häufiger hier war, erzählte er doch auch mal von Badeschuhen zu Lackhosen. Na ja, um diese Sünden zu verhindern, hat er ja jetzt mich und Bade- sind ohnehin besser als Tauchschlappen oder gar Gummistiefel!
Mist, wieder overdressed! Gut, dass ich wenigstens noch das Diadem und den Marschallstab zu Hause gelassen habe. Soll ich nun 100 x zur Strafe schreiben, dass ich nie mehr auf die Beschreibungen auf Club-Homepages höre??
Zu meinen Betrachtungen hören wir Musik von fast vergessenen Bands, Culture Beat, 2 Unlimited. Ich erinner mich noch und kann auch fast alles mitsingen. Ja, die Zeit nagt auch an mir …

Ein bissl essen wäre nett. Ah, an den Vegetarier wurde gedacht. Somit kriege ich den Teller gefüllt ohne mir wie ein Kaninchen vorzukommen. Die Ernüchterung kommt beim Essen selbst, alles etwas arg majonnaiselastig, wahrscheinlich „damit Geschmack dran kommt“. Na ja, ein paar Gewürze hätten es auch getan! Aber alles ist essbar und verlangt nach einem süßen Abschluss. Mmmh, nett, dass es auch so was gibt, aber so Sachen darf man halt nicht tagelang draußen rumstehen lassen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich auch erotische Spargelröllchen. Liebster, willst du eins? Nein? Du bist doch sonst Spezialist auf diesem Gebiet. Ach, du willst mir deins zeigen? Na denn los!

Wo sind die Räume? Passend für uns wäre ja der Keller! Glückwunsch an den Fotografen. Hier hängt zwar nicht die Mona Lisa, aber du hast es hinbekommen, dass dieses postkartengroße Bild auf der Homepage aussieht wie ein Riesenposter. Die darum herum liegenden Zimmer sind entsprechend natürlich auch keine Säle, sondern eher Kämmerchen. Na ja, so lange wir einen Platz kriegen …
Kriegen wir, aber alles wirkt irgendwie ungeheizt. Mir wäre nach einer dicken Decke. Wir wechseln die Räume so lange, bis wir alle durch haben und schließlich im wärmsten gelandet sind. Wir sind wieder mal unerträglich und so verlassen binnen kürzester Zeit alle möglichen Mitspieler die gastliche Stätte. Im Münsterland wird getauscht, nicht dumm geguckt und schon gar nicht geredet oder geküsst. Und sowieso nicht mit Gefühl. Ist ja nicht mit anzusehen!!!

Kleine Pause an der Bar. Das Betreiberpaar befindet sich in reger Unterhaltung mit dem letzten anwesenden Paar außer uns. Ja, im Münsterland geht man früh zu Bett, schließlich muss man am nächsten Tag mit den Hühnern aufstehen und das Feld bestellen. Nein, ich will immer noch nichts trinken. Oder habt ihr in der Zwischenzeit Kräutertee besorgt? Nein, ich will auch nichts anderes, auch nichts Alkoholisches! Seltsam, das sich hier jemand das All-inclusive-Angebot nicht annimmt und sich nicht für kleines Geld besäuft!
Veranlasst dies die Clubbetreiberin, von der etwas zickigen Dame zu erzählen, die doch glatt die Dreistigkeit besaß, nach diesem Fischzeug „Kaviar? – ne“ (spontan fällt mir Haifisch ein, aber der war’s wohl nicht) „… wie heißt noch gleich der rote … – Hummer? – na egal“, zu fragen? Na DAS kann’s doch nicht geben zu diesem Spottpreis. Und außerdem wird ja eh täglich die Hälfte weggeworfen vom Buffet (die Süßigkeiten wohl offensichtlich nicht..).

Zu dieser fruchtbaren Unterhaltung hören wir übrigens Klassiker deutscher Unterhaltungsmusik, Jürgen Drews, Andrea Berg, .. Ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie mir eine umfangreiche Allgmeinbildung in diesem Bereich mit auf den Weg gab und ich diese Liedchen sofort identifizieren kann! Die Erinnerung an die Vergangenheit lässt mich dem Liebsten gegenüber die 90er-Jahre-Einrichtung zum Thema machen. Toll, wie sie das alles so gelassen haben! Wie, den Club gibt’s erst seit einem Jahr? Mmmh, ist das hier nun ein Retro-Club oder ist da jemand in der Zeit stehen geblieben? Vielleicht dauert’s auch etwas, bis solche Zeiterscheinungen auch im Münsterland ankommen.

Die Unterhaltung neben uns geht weiter. Ein sehr schönes Thema: Die Betreiber hetzen mit dem anderen Paar über sämtliche bekannte Clubs. Dort ist Schaulaufen, da ist es dreckig, in X arbeitet doch glatt eine Bedienung mit einer Irokesenfrisur „Na die würde ich ja nie einstellen, aber ganz lieb ist sie ja doch!“ (Geht besser niemals zur Kitty, man hörte, dort seien manchmal sogar Tätowierte anwesend!) „In Y ist es auch nicht besser, …. HACH, am Schönsten ist es ja doch zu Hause!“ Böses Foul:“Im Club Z gehen doch tatsächlich Ausländer ein und aus, WIE DIE EINHEIMISCHEN! Tscha!“

Na ja, haben wir etwas Verständnis und Mitleid: Der Münsterländer an sich kommt selten aus seinem Kreis zwischen Hof, Kirche und Club. Er kann ja nicht wissen, dass wir aus dem alten Europa schon längst mit Ali, Dimitiros, Danuta und Carmencita gut Freund sind. Franceoise, John, Henk und Tuva sind dank Schengen ja schon lange fast eingemeindet. Gute Nachbarn und Mitswinger halt. Die Rednecks hier fahren zum Kaffee kaufen immer noch zu den „Käsköppen“ oder zum „Holländer“, obwohl ein Blick in einen Atlas auch schon vor 1945 zeigte, dass jenseits der Grenze nicht Holland, sondern Twente, was zu Overijssel gehört, liegt.
Allerdings – das mit dem Mitleid will nicht so recht klappen. Die Dame wird leicht indisponiert. Da hilft auch nicht zu erfahren, dass man auch hier nicht mit den eigenen Kindern zusammen swingt – das können die ja doch woanders machen. Fragt sich nur, an welchem Club Papa und Mama ein gutes Haar lassen.

Am besten alles vorbei schwimmen lassen und volle Konzentration auf den Liebsten. Mmh, er sollte öfter hautenge Lackhosen tragen! Was sich da wieder alles abzeichnet! Und wie er wieder schaut …! Seltsame Menschen, die in Clubs gehen, um rumzuknutschen und zu flüstern. Letzteres geht ja wirklich nicht! Eine erste Ermahnung aus erfahrenem Swingermund in unsere Richtung „Wer flüstat, lücht!“ – nicht drauf achten. Wir versinken weiter ineinander. Der Liebste will noch einen Kaffee. „Da kennt sich eina aba gut hier aus!“ Leute, habt ihr keine anderen Themen? „Hö, hö, viellaicht könn wa glaich noch meha sehn. Is ja bekannt, dass er groß gewachsen ist.“ Wir versinken weiter. Kommen wir doch noch mal auf die Hose zurück. Ach, sie hat Knöpfe? Darf ich die mal ausprobieren? Ein münsterländer Stimmchen von begleitetem Ruckeln an meinem Arm reißen mich aus meinen Betrachtungen „Määächen, kannze ma den Aam da wechtun. Wir könn ja nix sehn.“ Ein Blick in grüne Augen, eine nonverbale Frage. Liebster, wollen wir gehen? Die nonverbale Antwort fällt positiv aus. „Hap ich se getz verschreckt?“ Ja klar, die Dame ist nicht nur zickig, sondern auch schreckhaft. Auch nach zig Gangbangs, Clubbesuchen, Fetischfesten, u. ä. erschreckt sie immer noch bei der Begegnung mit derartiger unverfrorenen Unhöflichkeit.

Ich glaube nicht, dass das bemerkt wurde. Der Liebste wurde zum Abschied geherzt, ich nicht zu einem weiteren Besuch eingeladen. Hätte auch nix genutzt.

Wir kontrollieren mehrfach, ob diesmal auch wirklich alle unsere Sachen am Mann sind.

Liebster, ich hörte, in Nordhessen soll’s noch schöne Clubs geben. Fahren wir da mal hin?
Bewertung nach Schulnoten von 1 – sehr gut – bis 5 – mangelhaft

  • Ambiente: 2
  • Sauberkeit: 2
  • Leute: 4
  • Stimmung: 4
  • Essen: 2
  • Preis/Leistung: 2
  • Visits: > 1
  • Vote: neutral

 

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